Bewusstsein vs. Manipulation

Sinneseindrücke, die unser Handeln beeinflussen

Das Bild mag drastisch wirken – doch angesichts der unterschiedlichen Art der Manipulation durch bestimmte Sinneseindrücke, sind wir zumindest teilweise durchaus Marionetten von Marketingexperten und Supermärkten oder anderen Ladengeschäften. © stock.adobe.com © adragan

Unser Alltag ist voll mit Sinneseindrücken, die wir größtenteils bewusst wahrnehmen. Doch es gibt auch viele Situationen, in denen unsere Sinne gezielt angesprochen werden, ohne, dass wir es wirklich bemerken. Diese Sinneseindrücke haben den Zweck, unser Denken und Handeln zu beeinflussen – und das funktioniert unglaublich gut! Glaubst du nicht? Dann werden dich die folgenden Beispiele überraschen.

Musik

Musik ist ein Phänomen, das alle Grenzen von Nationalität, Rasse und Kultur überschreitet. Als Instrument dafür, Emotionen und Gefühle hervorzurufen, ist Musik sogar weitaus mächtiger als Sprache. In den meisten Kulturen wird Musik als die „Sprache der Gefühle“ beschrieben. Den meisten Menschen ist bewusst, dass Musik unser Verhalten stark beeinflussen kann. So nutzen etliche Menschen verschiedene Musik auch, um die eigene Stimmung zu heben, sich Trost zu holen oder sich zu motivieren.

Man denke hier etwa an den Sport. Musik wird für sportliche Aktivität bereits seit unzähligen Jahren eingesetzt. Auch sehr erfolgreiche Sportler, wie beispielsweise der mehrfache Weltrekordläufer Haile Gebrselassie, berichten immer wieder davon, dass Musik ihnen dabei helfe, sportliche Höchstleistung zu erreichen. Oder man denke an sogenannte „Alphawellen Musik“, die aufgrund ihrer speziellen Frequenz die Konzentration steigern kann.

Diese Effekte kannst du dir gezielt zunutze machen. Doch wenn wir durch Musik unsere Gefühle und auch unsere Leistung und unser Verhalten bewusst beeinflussen können, kannst du dir sicherlich vorstellen, dass wir durch sie im Alltag zudem häufig manipuliert werden. Wie weit diese Manipulation allerdings teilweise geht, ist durchaus erschreckend.

Beispiele für die Manipulation durch Musik

Allein Musiker selbst manipulieren unsere Gefühle. Vor allem erfahrene Komponisten etwa manipulieren die Emotionen in einem Song. Das gelingt ihnen, weil sie wissen, welche Erwartungen ihr Publikum hat. So können sie kontrollieren, wann diese Erwartungen erfüllt werden und wann nicht. Diese Art Manipulation lässt beispielsweise den Gänsehauteffekt entstehen, den etwa ein bewegendes Lied anstrebt.

Bereits in der Mitte der 1930er Jahre wurde die Marke „Muzak“ des 1934 gegründeten US-amerikanischen Unternehmens „Muzak Holdings LLC“ bekannt. Es handelte sich dabei um einen großen und erfolgreichen Anbieter von Musik. Diese Musik allerdings war von spezieller Sorte: Sie hatte einzig und allein das Ziel, Menschen in Fabriken, Unternehmen, Arztpraxen und Supermärkten zu kontrollieren. Es ging darum, die Menschen so zu beeinflussen, dass sie dem Unternehmen am meisten nützten. Oder darum, dass sie als Arbeitnehmer die hohen Anforderungen, die ihr Arbeitgeber an sie stellt, nicht erkennen und möglichst gerne und entspannt, aber effizient arbeiten. Noch heute wird Musik etwa von Supermärkten genutzt, um das Kaufverhalten zu beeinflussen.

Muzak führte im Rahmen der Musikproduktion umfangreiche psychologische Forschungen durch, um herauszufinden, wie das Verhalten von Menschen in verschiedenen Situationen und Umgebungen effektiv steuerbar wird. Dabei sollten die durch die Musik Manipulierten natürlich nicht wissen, dass sie manipuliert werden.

An Arbeitsplätzen setzte Muzak eine Technik ein, die „Stimulus Progression“ genannt wurde. Du kannst sie heute noch etwa auf YouTube anhören. Es handelt sich hierbei um Musik, die allmählich an Geschwindigkeit und Tempo zunimmt und bei der die Instrumentierung lauter, schriller und martialischer wird. Dies diente dazu, das Tempo und die Produktivität der Arbeitnehmer progressiv zu erhöhen.

Ein drittes Beispiel für Manipulation durch Musik ist die Glücksspielbranche. Eine empirische Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Musik und Glücksspiel hat im Jahr 2007 eine spannende Sache ergeben. So ist das musikalische Tempo in der Lage, die Geschwindigkeit der Wetten zu beeinflussen. Hören Spieler zum Beispiel High-Tempo-Musik, werden schnellere Wetten gesetzt. Eine andere Studie fand später heraus, dass Slow-Tempo-Musik dazu führen kann, dass mehr Wetten platziert werden, die ein längeres Glücksspielverhalten anzeigen.

Musik ist ein Phänomen, das alle Grenzen von Nationalität, Rasse und Kultur überschreitet. © stock.adobe.com © deagreez

Düfte

Wo Düfte lange Zeit rein der persönlichen Erheiterung, der Übertünchung unangenehmen Geruchs oder des gezielten Versuchs, andere zu bezirzen vorbehalten waren, werden sie heute teilweise bereits als Kunst wahrgenommen. Dafür zumindest spricht, dass im NYC Museum of Arts and Design der Kritiker Chandler Burr nun eine „Abteilung für olfaktorische Kunst“ kuratiert. Zwar war Joseph Beuys, der sich unter anderem mit dem Eigengeruch von Filz, Honig und Wachs beschäftigte, eine Art Vorreiter für das Einbringen des Geruchssinns in die Kunstgeschichte. Er blieb über viele Jahre hinweg damit aber auch ein Außenseiter. Doch heute haben Gerüche eben eine eigene Museumsabteilung und werden gar Hauptdarsteller ganzer Opern.

Der Blickwinkel und die Subjektivität des Schöpfers, davon ist Burr überzeugt, können, genau wie etwa in der Fotografie, auch Gerüche zu einer Kunstform machen. Diese Kunst des Duftes beflügele einerseits Vorstellungskraft und vermittele den Rezipienten andererseits ein besonderes Erlebnis. Im Falle von Düften ist dieses Erlebnis, dass ein Geruch direkt unsere Instinkte und Gefühle beeinflusst.

Das macht Düfte ebenfalls zu echten Meistern der Manipulation. Zumindest gilt das für all diejenigen, die wissen, wie man sie richtig einsetzen kann.

Beispiele für die Manipulation durch Düfte

In Hotels, Ladengeschäften und Supermärkten werden gezielt bestimmte Gerüche eingesetzt, um die Markenbindung der Kunden zu stärken und ihre Kauflust zu fördern.

Experimente in Bekleidungsgeschäften haben gezeigt, dass sich die Verkaufszahlen für Damenbekleidung verdoppelten, wenn „weibliche Düfte“ wie Vanille in der Abteilung für Damenbekleidung versprüht wurden.

Auch der Duft, den Brot beim Backen erzeugt, hat sich als gewinnbringende Maßnahme zur Steigerung des Absatzes bei vielen Produktlinien erwiesen. Vor allem in nordeuropäischen Supermärkten gibt es oftmals gar keine richtigen Bäckereien. Dennoch wird hier nicht selten ein künstlicher Geruch von frisch gebackenem Brot aus den Deckenlüftern direkt in die Gänge des Geschäfts geblasen, um die Kauflust der Kunden anzuheizen.

Das nächste Mal, wenn du Laufschuhe kaufen möchtest, solltest du im Ladengeschäft darauf achten, ob du irgendeine Art angenehmen Geruchs wahrnimmst. Denn auch hier arbeiten Geschäfte gerne gezielt mit Düften, um dein Kaufverhalten zu beeinflussen. In diesem Fall sind es blumige Düfte, die zu mehr Sportschuhabsatz führen.

In Deutschland hat man ein Experiment gemacht, bei dem der Duft von frisch gemähtem Gras in einem Baumarkt versprüht wurde. Das Ergebnis war erstaunlich: Fast die Hälfte aller befragten Kunden gab an, dass das Personal ab diesem Zeitpunkt besser über die Produkte des Ladens Bescheid zu wissen schien.

Spannend sind auch folgende Fakten zu Düften:

  • Untersuchungen haben gezeigt, dass der Geruch von Vanille Ängste abbauen kann.
  • Ein Lavendelduft in Restaurants führt oft dazu, dass die Besucher länger bleiben und mehr konsumieren.
  • Düfte können beeinflussen, welche Menschen du magst und welche eher nicht. Dein Unterbewusstsein trifft dann eine Wahl: Person, die ich mag / Person, die ich nicht mag.
  • Du kannst etwas über die Persönlichkeit einer Person erfahren, indem du sie einfach riechst.
  • Gerüche, die uns an Sauberkeit erinnern – wie etwa Spülmittel oder Ähnliches – fördern angeblich gutes Verhalten. Der Geruch von Keksen kann uns ebenfalls netter im Umgang miteinander machen.
  • Anders als viele Männer denken, gibt es kein Parfüm, das Frauen „am meisten anmacht“. Entweder gefällt ein Duft einer Frau oder eben nicht.
  • Gerüche, die im Schlaf verbreitet werden, können die Kreativität anregen.
In Hotels, Ladengeschäften und Supermärkten werden gezielt bestimmte Gerüche eingesetzt, um die Markenbindung der Kunden zu stärken und ihre Kauflust zu fördern. © stock.adobe.com © 昊 周

Licht

Licht ist in der Lage, uns zu schmeicheln oder uns schöne Momente zu spenden, es kann uns aber etwa auch blenden oder uns gar verletzen. Außerdem sind wir Menschen genauso wie alle anderen Tiere und Pflanzen vom Licht abhängig. Denn Licht ist unabdingbar für die Photosynthese – und somit für die Produktion von Sauerstoff, die wir alle zum Überleben brauchen. Licht ist außerdem für unsere Haut und hier für die Synthese von Vitamin D extrem wichtig. Denn ohne ausreichend Sonnenlicht fehlt unseren Knochen das Vitamin – die Folge kann Osteomalazie sein, eine schmerzhafte Knochenerweichung, die ärztlich behandelt werden muss.

Tageslicht hat außerdem auf unsere Psyche einen starken Einfluss. Du kennst das Phänomen sicherlich allein schon an den ersten Sommertagen. Wie gut fühlt es sich an, nach längeren Sonnenflauten endlich einmal wieder nach draußen zu gehen und die warme Sonne auf dem Gesicht zu spüren? Bläuliches Licht wiederum ist bekannt dafür, weniger müde zu machen als konventionelles Weißlicht und zudem zu beruhigen. Das hängt auch damit zusammen, dass die Farbe Blau die Belastungsreaktion unseres Körpers vermindert. Außerdem werden bei blauem Licht weniger Stresshormone ausgeschüttet.

Doch wie du dir sicher schon gedacht hast, kann natürlich auch Licht dazu eingesetzt werden, uns gezielt zu manipulieren.

Beispiele für die Manipulation durch Licht

In vielen Supermärkten werden bestimmte Produkte auf gewisse Art und Weise gezielt beleuchtet. Blasse Lebensmittel werden insbesondere mit farbigem Licht bestrahlt, damit sie frischer und intensiver und somit auch leckerer aussehen. Käse beispielsweise wird gelblich beschienen, während man Fleisch und Fisch häufig mit bläulichem Licht bestrahlt.

Eine genauso wichtige Rolle für die Manipulation durch Licht spielt die Farbtemperatur, also wie warm oder kalt eine Lichtquelle ist. Warmes, gelb-oranges Licht wirkt gemütlich und heimelig. Denke etwa an Kerzenschein oder ein Lagerfeuer – in einem solchen Licht fühlst du dich, wie vermutlich die meisten Menschen besonders wohl. Deshalb nutzen gerade auch viele teure Geschäfte aufwendige Lichtinstallationen mit warmem Licht, um die potenziellen Konsumenten hinein zu locken.

Fastfood-Restaurants verwenden wiederum interessanterweise oftmals kühles Licht. Sie sind deshalb nicht doof, weil sie dadurch ja die Chance verhindern, dass Menschen es sich bei ihnen gemütlich machen. Im Gegenteil – sie sind sich genau dieses Effekts bewusst und wollen dies verhindern. Das bedeutet, dass sie die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Konsumenten verkürzen möchten, um schnell Platz für neue Konsumenten zu schaffen. Die Methode erhöht also die Kapazität und die Rentabilität der Restaurants. Praktisch ist, dass die Kunden das Ganze gar nicht als psychologische Taktik, als Neuromarketing, bemerken.

Licht ist in der Lage, uns zu schmeicheln oder uns schöne Momente zu spenden, es kann uns aber etwa auch blenden oder uns gar verletzen. © stock.adobe.com © jirsak

Exkurs: Neuromarketing

Unter Neuromarketing als Oberbegriff fallen unter anderem all die im Laufe dieses Artikels erläuterten Beispiele, wie Kunden gezielt durch bestimmte Sinneseindrücke manipuliert wurden und werden. Doch der Begriff geht darüber hinaus. Die vergleichsweise noch recht junge Marketing-Strategie und die unterschiedlichen Prozesse (multisensorische, emotional-kognitive und neurolinguistische Prozesse), die die Gefühle und das Handeln von Kunden lenken, sind komplex.

Denn es wäre zu einfach zu sagen, dass jede Frau, wenn sie Vanille in einem Laden riecht, mehr kauft. Oder dass ein gelb beschienener Käse für jeden Konsumenten sofort leckerer aussieht. Denn ganz offenbar bestimmen Alter und Geschlecht ebenfalls über das Kaufverhalten von Konsumentinnen und Konsumenten. Denn es wurden mehr als 200 Unterschiede in Gehirn und Neurochemie bei Frauen und Männern festgestellt. Diese Unterschiede haben auch einen entscheidenden Einfluss auf das Kaufverhalten. Für das Alter gilt das Gleiche: Junge Menschen können oder müssen mit anderen Sinneseindrücken beeinflusst werden als alte Menschen.

Das Neuromarketing setzt sich zur Analyse entsprechend notwendiger Erkenntnisse mit einer Vielzahl komplexer Fragen auseinander. Für deren Beantwortung werden große Teams an Psychologen, Neurowissenschaftlern und anderen Forschern zusammengestellt. Solche Fragen können zum Beispiel sein:

  • Wie genau werden bestimmte Gerüche im Gehirn verarbeitet?
  • Welche Geräusche lösen welche Handlungen bei welchen Menschen aus?
  • Wie nehmen Rezipienten einen bestimmten Werbespot auf? Warum wirkt dieser Spot bei einer bestimmten Gruppe so, bei einer anderen auf andere Weise?
  • Wie wird Sprache im Gehirn verarbeitet?
  • Wo liegen die charakterlichen, aber auch neurochemischen Unterschiede bei Menschen mit unterschiedlicher Produktpräferenz?

Diese Fragen zu beantworten kann eine Menge Zeit und somit eine Menge Geld kosten. Immer mehr Unternehmen aber sind gewillt, dieses Geld zu bezahlen. Denn die Ergebnisse, die zum Neuromarketing eingesetzt werden können, zahlen sich doppelt, dreifach oder gar noch höher wieder aus. Die Konsumenten sollten sich aber, zum Schutze ihrer eigenen Brieftasche, ständig bewusst darüber sein, dass ein Besuch eines Supermarktes oder Ladengeschäfts auch immer die Gefahr birgt, auf irgendeine Weise legal manipuliert zu werden.

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